Wildlife im Yukon-Territory, Kanada
Dass man im Yukon-Territory auch im Hochsommer mit Schneefall und Frost rechnen muss, kann man überall lesen. Also haben wir nach dem kalten Sommeranfang bei uns reichlich warme Wäsche eingepackt. Jetzt haben wir diese ungenutzt wieder im Schrank verstaut und blicken auf einen Traumsommer in einem traumhaften Paddelrevier zurück.
Der Nordwesten Kanadas wurde in diesem Jahr von einer ungewöhnlichen Hitzewelle überrascht. Das führte in den Wäldern zu zahlreichen großen Bränden, die aber bei unserem Eintreffen Anfang August weitestgehend am Abklingen waren. Der ursprünglich mit dem Veranstalter verabredete Bach hatte jedoch kein Wasser mehr und noch immer glühende Ufer. Kurzfristig wurden wir auf Big Salmon River und Mc Questen River umgeleitet. Von letzterem soll hier die Rede sein. Schon die Anfahrt gestaltete sich abenteuerlich. Von Carmacks am Yukon, wo wir am Morgen die Befahrung des Big Salmon abgeschlossen hatten wurden wir mit einem Kleinbus von Ruby Range über Steward Crossing und Mayo umgesetzt. Ab Steward Crossing über die immer noch überwiegenden Gravel-Roads in den Wald hinein. Irgendwann erkennen wir ein Schild nach links: South Mc QuestenRiver 24 km. Die Straße wird kleiner, ungepflegter. Irgendwann überqueren wir die Brücke über einen kleinen Bach, das wird er doch nicht sein? Auch unser Fahrer, Thor, und unser Guide, Noelle, sind sich unsicher. Vorsichtshalber fahren wir die Straße noch ein Stück weiter, um festzustellen, dass es nun keine Wendeplätze für das Gespann mehr gibt. Viele Schlaglöcher und eine Goldmine später kehren wir zur Brücke zurück. Karte und GPS passen zwar nicht zusammen, aber hier werden wir einsetzen und sehen was denn kommt. Direkt unterhalb der Brücke ist eine große Kiesbank, auf der wir unser erstes Nachtlager am Mc Questen aufschlagen. Auch wenn wir zu der Zeit noch davon ausgehen, an einem Nebenfluss zu stehen.
Nach einer erholsamen Nacht (obwohl ich mehrfach wach war und durch die offene Zelttür in die Sterne gesehen habe), sind wir nur schwer in die Gänge gekommen. Erst um 10:30 war das ganze Gerödel wieder in den drei Nova-Craft Prospector 17"-Canadiern verstaut. Doch schon nach der ersten Kurve musste alles wieder ausgepackt werden: querliegende Bäume mussten über eine Kiesbank kurz umtragen werden. Bereichert wurde die Fahrt auch durch immer neue Spekulationen, wo auf dem Fluss wir denn eigentlich gestartet sind. Der Mc Questen ist hier im Oberlauf ein Kleinfluss mit zahlreichen engen Windungen ohne viel Gefälle. Nur der niedrige Wasserstand machte das Fahren etwas mühsam. Im manchmal etwas breiten Kiesbett setzten wir mit den schweren Booten immer wieder auf oder mussten in der Außenkurve dich an die Büsche heranfahren. Auch auf diesem Fluss sahen wir zunächst kein großes Wild, dafür aber neue Vögel: Zwei amerikanische Uhus und später einige Felsengebirgshühner. In der Mittagspause hat Noelle dann Karte, Landschaft und GPS zusammenbekommen: Wir haben erheblich höher eingesetzt, als ursprünglich geplant. Rund 40 Kilometer mehr sind uns so auf diesem Idyll vergönnt! Beim Frühstück hat Noelle festgestellt, dass alle in der Gruppe (Andreas, Dieter, Wilfried und ich) immer erschöpfter aus den Zelten kriechen, nur meine Frau, Petra blüht von Tag zu Tag mehr auf. Es ist schön zu sehen, wie gut ihr dieser Urlaub tut, obwohl wir beide nach jetzt zwei Wochen einen leichten Gruppenkoller haben. Die Portagen und Baumüberhebungen auf dem Mc Questen machen die zweite Tour allerdings wesentlich spannender als die erste (obwohl auf dem Big Salmon etwas mehr Wildwasser zu meistern war). Wie gut, dass es so schön warm ist, da stört es nicht so, dauernd ins Wasser steigen zu müssen.
In der Nacht muss ich gegen vier Uhr früh mal aus dem Zelt. Wie gut, dass ich wach geworden bin, denn als ich wieder im Schlafsack liege, ist längere zeit ganz in der Nähe ein heulendes Wolfsrudel zu hören. Ein durchdringendes Heulen, fast wie ein Gesang in unterschiedlichen Tönen an- und abschwellend. Noelle meint am Morgen, es sei ein recht großes Rudel gewesen. Sie habe den Gesang auch zum ersten mal gehört und wisse von vielen vergeblichen Touren, bei denen danach gesucht wurde. Der Sonnenaufgang ist jetzt schon merklich später, so ist es beim Frühstück um 8 noch neblig-kühl am Fluss. Der Tag hielt den Versprechungen der Nacht stand: Schon in der zweiten Flussbiegung trafen wir auf einen Elch mitten im Wasser. Er ließ uns dicht heran treiben, bevor er majestätisch ruhig in die Büsche schritt. Noch immer kommen wir auf dem kurvigen Bach nur langsam voran. Nur mühsam lässt sich auf meiner 250.000-Karte ein Fortschritt erkennen. Zur Mittagspause erreichen wir den Hauptzufluss, den North Mc Questen River. An der Mündung habe ich endlich auch Angelerfolg: Eine große Äsche ließ sich erweichen und wir nun unser Abendessen bereichern. Nach der Mittagspause wird es wieder sehr heiß. Wir entdecken einen Biber, der unter unserem Boot durchschwimmt. Während Andy und Dieter sich mit Wasser bespritzen, entdeckt Petra am Ufer einen Fischotter bei der erfolgreichen Jagd. Wieder einige Kilometer weiter weist uns Andreas auf einen Elchbullen im Wasser hin. Auch dieser ließ uns auf Fotoentfernung herankommen. Trotz des mühsamen Starts haben wir an diesem Tag 37 Kilometer zurückgelegt. Seit der Mittagspause kann man die Fortschritte auch auf der groben Karte verfolgen. Über dem Zielplatz kreisen mehrere Seeadler und wir entdecken einige frische Grizzlispuren. Beim Abwaschen der Fischpfanne in der Hauptströmung habe ich auch die Ursache entdeckt: Am Ende unserer Insel liegen die Überreste zweier toter Lachse. Trotz Donnergrollen und aufziehender dichter Wolken bleibt es trocken. Nach kurzer Zeit ist alles wieder klar und hell.
Auch der dritte Tag auf dem Mc Questen beginnt vielversprechend: zum Frühstück erscheinen zwei Fischotter vor dem Platz und posieren fürs Foto. Der Fluss ist zwar größer geworden und hat insgesamt wenig Gefälle, aber wie die meisten Wildflüsse nimmt er dieses stufenartig, so dass immer wieder nette kleine Schwälle auf uns warten. Die Landschaft ist auch sehr abwechslungsreich. Aus überwiegend altem Baumbestand ragen teilweise mehrere Meter hohe Schwemmkiesschichten auf. Wir paddeln an schroffen Granitkanten entlang oder durch weite Überschwemmungsflächen mit Biberdämmen, kleinen Rinnsalen oder Sumpfvegetation. Über uns kreisen heute zahlreiche Weißkopf-Seeadler. Wie schon in den letzten Tagen wird es zur Mittagspause fast unerträglich heiß. Der daraus erwachsenden Trägheit ist es wohl zu verdanken, dass Noelle den Schwarzbären am Ufer gar nicht erkannte. Unaufhaltsam fuhr sie direkt darauf zu und nahm uns damit leider die Möglichkeit für ein gutes Foto.
Auch am letzten Paddeltag gibt es noch einmal Adler und Sonne satt. Während sich das Tal langsam zum Steward hin öffnet, sind wir heute deutlich schneller gefahren als in den letzten Tagen. Schade, denn es gibt gutes Licht und viel zu sehen. Noch einmal entdecke ich einen Schwarzbären. Diesmal auf halber Hanghöhe. Wir übernachten ein letztes Mal in der Wildnis auf eiern großen Kiesbank. Am kommenden Tag werden wir von einem Grizzli begrüßt. Während ich auf den Tee zum Frühstück warte, taucht er etwas 150 Meter unterhalb auf der Kiesbank am gegenüberliegenden Ufer auf. Zum Glück habe ich mir angewöhnt, die Kamera überall mit hinzunehmen. So ist sie jetzt schnell zur Hand. Der Buckel im Nacken macht die Identifizierung leicht. Gelassen wandert er über die Kiesbank bis ans Wasser und von dort zurück in den Wald. Wenig später taucht er noch einmal direkt gegenüber unserer Küche auf. Doch da verscheucht ihn mein Griff zur Kamera. Etwas früher als sonst sind wir auf dem Wasser, genießen einige letzte Kurven mit schnellfließendem Wasser, mogeln uns am letzten Log-Jam vorbei, bis auf einmal die Brücke des Highway 2 auftaucht. Untrügbares Zeichen für das Ende der Tour.
Kurz-Info
Das Yukon-Territory ist flächenmäßig etwa so groß wie Deutschland mit der Hauptstadt Whitehorse. Insgesamt leben ca. 30.000 Menschen auf die Fläche verteilt, die meisten davon in der Hauptstadt oder in der Museumsstadt Dawson-City. Während der Sommermonate kommen Touristen hinzu, wobei die meisten mit Wohnmobilen nach Alaska durchfahren. Wie überall in Kanada ist das Kanu das ursprüngliche Fortbewegungsmittel, noch heute daran zu erkennen, dass die Straßen in der Regel die Flüsse verbinden, statt wie bei uns parallel das Tal zu begleiten. Die Natur ist weitgehend unerschlossen. Zahlreiche Wildtiere leben hier in einem nahezu intakten Nahrungsmittelkreislauf ohne menschlichen Einfluss. Das Klima ist immer Sommer in der Regel warm und trocken. Klare Nächte können aber jederzeit auch Nachtfrost mit sich bringen. Plötzliche Kälteeinbrüche mit Schneefall können auch im Hochsommer vorkommen, sind jedoch selten.
Bären stellen eine echte Gefahr dar. Sie sind überall anzutreffen. Schon deshalb ist es empfehlenswert, Touren im Yukon nur mit Begleitung durch ortsansässige Guides durchzuführen. Sie schulen für den richtigen Umgang mit Lebensmitteln, Zeltplätzen und auch der Handhabung der schweren, langen Canadier. Die Guides organisieren auch den Einkauf von Lebensmitteln und stellen die gesamte Ausrüstung, was für Flugreisende eine echte Erleichterung ist. Da es entlang der Flüsse keine Straßen, Häuser oder Telefone gibt, können sich auch kleine Fehler (z.B. der Verlust von Töpfen) tödlich auswirken.
Entlang der Flüsse werden gelegentlich Wanderungen angeboten. Für diese lohnenden Ausflüge auf die umliegenden Berge sind unbedingt sehr feste und gut eingelaufene Wanderstiefel erforderlich. Beschriebene Wanderwege im Yukon-Territory sind in der Regel Trampelpfade in alpinem Hochgebirge, das gilt z.B. auch für den Aufstieg auf den Midnight-Dome in Dawson! Kondition, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind unbedingte Voraussetzung für solche Wanderungen. Am Ende der Tour sollte ein Tag in Dawson eingeplant werden. Ohne den Goldrausch von 1897-98 wäre das Gebiet vermutlich immer noch unerschlossen. Viele historische Gebäude erinnern an die Zeit. Nach abgeschlossener Wildnistour ist die Tanzshow in Diamont Tooth Gertie's Spielcasino ein sanfter Einstieg in die Zivilition. Noch immer wird erfolgreich nach Gold gesucht, auch das lohnt eine Besichtigung.
In Dawson und Whitehorse gibt es reichlich Hotels, dazwischen praktisch gar nichts. Auf den Touren wird am Flussufer wild gezeltet. Die Guides achten darauf, dass die Lagerplätze ohne jegliche menschliche Spuren wieder verlassen werden. Der Tourismus soll das natürlich e Kleinod nicht zerstören.
Für die Anreise bietet Condor einmal wöchentlich einen Direktflug ab Frankfurt/Main, der jedoch schnell ausgebucht ist. Das ist zur zeit der einzige Interkontinentalflug nach Whitehorse. Verbindungen über Vancouver, Anchorage, Seattle oder andere Flughäfen sind möglich aber umständlich. Beste Reisezeit ist Anfang Juni bis Anfang September, wobei nur Juli und August einigermaßen sicher frostfrei sind. Je später man kommt, desto weniger Mücken gibt es.
Eine gute Adresse für Touren im Yukon-Territory ist die Fa. Ruby Range in Whitehorse. Der Koordinator stammt aus Deutschland und vermittelt auf Wunsch auch deutschsprachige Guides.
Thomas Gleitz