Winterfahrt auf Veerse und Fintau 2007
Immer im Winter, wenn viele Lebewesen sich verstecken in ihren Häusern, Bauen, Löchern, Nestern und Kobern und es so richtig einsam wird in der Natur, erscheinen draußen an den kleinen Bächen und Flüssen Norddeutschlands bunt gekleidete, mit Mützen, Hauben, Masken oder Hüten vermummte Wesen. Sie sind den Bewohnern und Gästen der Flussauen wohl gesonnen und wollen deren Ruhe nicht stören, sondern Teil von ihr werden.
Von ihren vierrädrigen Fahrzeugen heben sie bunte Schwimmkörper aus Kunststoff ins Wasser und begeben sich damit auf Erkundungsfahrten durch das Revier der schwirrenden Eisvögel und heimlichen Zaunkönige, der widerwillig auffliegenden Graureiher und Kormorane, der schnatternd protestierenden Stockenten, des neugierig lugenden Rotkehlchens und des fast teilnahmslos kreisenden Bussards.
Meist nach zwei Tagen ziehen sie sich wieder mit ihren randvollen rollenden Lasteseln in ihre Heimat zurück und nehmen ein Stück der friedlichen Ruhe mit zu ihren Wohnungen und Arbeitsplätzen.
Veerse - linker Nebenfluss der Wümme. Schnellfließend, landschaftlich lohnen (Laubwald). Sehr einsam, auf 25 km nur zwei Dörfer. Kein Umtragen, nur hin und wieder umgestürzte Bäume und in Kurven Stacheldrahtzäune. Gesperrt vom 1.3. bis 15.7.
So weit die Theorie des Flussführers.
Veerse - die Praxis
Nachdem wir - Thomas, Christian und Rita, Manuela Böhm und ich - am 10./11. Februar, ausgehend vom Bootshaus in Oppershausen mit vier Booten 44 km Oker und Aller gepaddelt waren und einen dieser unvergesslichen Abende am prasselnden Lagerfeuer vor unseren Zelten bei leichtem Schneetreiben verbracht hatten, standen am Wochenende 23./24./25. Februar zwei Übernachtungen im Bootshaus in Scheeßel an der Wümme auf dem Programm des KCStM - ein Angebot auch für die Paddler, die im Winter nicht so gern zelten.
Wolfgang Trampler, Heiner Kölling, Thorben Hoppe, der zwölfjährige Teja und ich begleiteten unseren Wanderwart, so dass wir uns mit sechs Kajaks auf den kleinen Nebenflüssen der Wümme herumtreiben wollten. Das Wetter war fast frühlingshaft von den Temperaturen her nicht zu vergleichen mit der bisher einzigen winterlichen Fahrt dieses Jahres auf der Oker - am Sonntag allerdings zeitweise regnerisch.
Am Freitagabend servierte Thorben Hühnerfrikassee mit Reis für alle mit einer kräftigen Hühnersuppe vorweg und am Samstagabend nach 25 km "Arbeit" auf der Veerse und Ankunft im Bootshaus nach 19 Uhr ließen wir uns einen deftigen Grünkohl mit allem was dazu gehört, schmecken, den ich zu Hause vorbereitet hatte und nun nur aufwärmen musste. Ein schöner Brauch seit einiger Zeit, ein gemeinsames Essen zu genießen und nicht jeder sein eigenes Süppchen kochen. Alle hauten ordentlich rein, denn die Tour hatte es in sich gehabt!
Wir waren von Scheeßel zum Zielort Veersebrück gefahren und hatten dort einen Wagen stehen gelassen. Auf dem Weg von dort zum Startort bei Lünzen konnten wir auf einem Feld an die hundert Kraniche sehen, die dort nach Nahrung suchten. Als wir anhalten wollten, um sie genauer zu beobachten, wurden sie unruhig und wollten auffliegen, beruhigten sich dann aber wieder, als wir langsam weiter fuhren.
Der erste Teil der Strecke war einfacher als erwartet: Der Bach schlängelte sich zwar eng und teilweise auch ausgeprägt mäandernd durch Erlen- oder Mischwälder, mit ausgedehnt verzweigtem, skurril wucherndem Wurzelwerk, das die aufgeweichten Ufer gut festhielt, teilweise auch begradigt, immer aber kräftig fließend, mit genügend Wasser unter dem Kiel und - wenn auch manchmal schmaler als die Boote lang waren - immer breit genug, um zügig paddeln zu können. Kleinere Hindernisse in Form von Treibholz und Resten gestürzter Bäume bereiteten kaum Schwierigkeiten, der Windbruch der letzten Stürme war fast ausnahmslos beseitigt und stapelte sich bereits als Meterholz am Waldrand, bereit zum Abtransport.
Auch die drei Wehre waren gut zu befahren, auch wenn sie gern ein wenig mehr Wasser hätten haben können. Bis auf Wolfgang fuhren wir aber alle PE-Boote, so dass das Trauern um den Abrieb sich in Grenzen hielt.
Im weiteren Verlauf kam es aber "knüppel"dick: Je weiter wir abwärts paddelten, desto mehr Holz lag im Bach; fast jede, aber auch wirklich fast jede Stelle, die sich anbot Treibholz aufzufangen, hatte dies auch getan! An Baumwurzeln, in Kurven, an gestürzten Stämmen, an flachen Stellen hatten sich Wälle von Ästen, Altholz, Stammteilen, vom Hochwasser losgerissenen Bohlen und Latten und allem möglichen Treibgut, das ein Bach so mit sich führt, aufgebaut.
Christian oder später auch abwechselnd der eine oder andere Teilnehmer fuhr voran, um zu entscheiden: Fahrbar oder nicht? Mit kräftigen Anlauf und voller Fahrt hinein oder hin über? Oder vorsichtig herantasten und langsam durch das Gewirr von Ästen wuseln? Mit der Säge Zweige entfernen oder einige störende Knüppel herausziehen?
Oder doch umtragen, weil das schneller gehen würde?
Einmal kletterten Heiner und Christian auf einen quer liegenden Eichenstamm und halfen den anderen beim Aussteigen über Baumstamm und sumpfigen Uferrand; wir zerrten unsere Boote hoch und schleppten sie durch den matschigen Auwald am Hindernis vorbei bis zur nächsten machbaren Einsatzstelle, um aber nach ein paar hundert Metern schon wieder über das nächste Hindernis zu schimpfen!
Irgendwann hörte ich auf zu zählen, wie oft wir umgetragen hatten oder uns durch einen Verhau durchgekämpft hatten.
Andererseits war dieser Tag eine gute Trainingseinheit für mich: Situationen richtig einschätzen, das ungewohnte Wildwasserboot handhaben lernen, das Boot am Hindernis richtig in der Strömung halten, um Äste absägen zu können usw. usw. Auch das Aufkanten unter Baumstämmen und Wiesenstegen, unter denen man aufrecht sitzend nicht durch kam, entweder mit Partnerhilfe oder auch mal allein an fester Böschung sich abstützend, wurde mehr und mehr zur Routine.
Zwischendurch konnten wir auf einer weitläufigen Wiese viele Kanadagänse sehen, die uns zwar aufmerksam beäugten, aber nicht aufflogen, nur konsequent und ruhig ihre angestammte Fluchtdistanz im Gänsemarsch herstellten.
Ein ander Mal sprang beim Umtragen ein Hase auf und suchte in langen Sätzen das Weite und auf der anderen Uferseite machten sich kurz darauf zwei Rehe aus dem Staub, als Christian nach einer Stelle zum wieder Einsetzen suchte.
Zum Schluss wurde ich doch noch etwas nervös: Mir wurde langsam bewusst, dass die Zeit knapp werden würde: Wir waren um 11 Uhr auf dem Wasser gewesen und 25 Kilometer mit so vielen Hindernissen fraßen Zeit. Nachdem der Fahrtenleiter von nur noch zwei Kilometern und später von "nur noch zwei Kurven" gemurmelt hatte, mussten wir doch noch mehrfach umtragen, so dass es gut 18.15 Uhr wurde, bis wir endlich unser Ziel bei Veersebrück erreicht hatten – es wurde schon recht dämmerig! Die Fahrer, die Fahrzeuge vom Startort nachholten, konnten ins warme Auto, aber Thorben, Teja und Wolfgang, welcher zudem etwas sehr nass geworden war, mussten noch eine Stunde frieren bis wir zurück waren. Dafür konnten sie in der Zeit einen wunderschönen Halbmond und die strahlende Venus bewundern, während sie die Boote säuberten und alle Sachen zum Einladen vorbereiteten.
Wir machten die Boote auf den Halterungen fest und kehrten richtig geschafft zum wohlverdienten Abendessen ins warme Bootshaus zurück