„Das wäre nichts für mich“, „Du spinnst doch“ – so oder so ähnlich waren die Rückmeldungen, die ich aus meinem Umfeld bekommen habe für einen Tag, der eigentlich nichts Besonderes war.
Zumindest aus meiner Sicht. Gut, ich war früh aufgestanden (passiert ja gelegentlich) und ich bin recht viel gepaddelt (passiert ja auch gelegentlich) – also eigentlich alles wie Immer? Nicht ganz!
Nach einem sehr schönen (und nahrhaften) Abend mit Heike (und Scharen von anderen Kanuten) in der Altstadt von Hann-Münden hatte ich eine relativ kurze und nur mäßig bequeme Nacht im Kofferraum verbracht. Bereits ab 4.30 Uhr wurde ich immer wieder von draußen umherwuselnden Kanuten geweckt, also rauskriechen in die Kälte, kurz frischmachen und anziehen, dann zusammen mit Hermann, Renate und Fritz in deren mobilen Vereinsheim gefrühstückt. Um kurz vor 6.00 Uhr dann Kajak auf’s Wasser und los – doch halt, da stimmt doch was nicht! Während der Anfahrt hatte sich meine Fußstütze auf einer Seite gelöst. Also umdrehen, Boot wieder auf’s Ufer und reparieren. Ein am Ufer gefundener Ast musste schließlich als Ersatz für den im Boot verschollenen Splint herhalten. Mit etwas Verspätung ging es also um 6.15 Uhr erneut auf’s Wasser und dann los.
Nach und nach kamen meine müden Knochen in Bewegung und nach einigen Kilometern hatte ich meinen Rhythmus ganz gut gefunden. Der Wind war gnädig und blies schwach und meist von hinten.
Erst nach ca. einer Stunde holte ich die ersten von unserer Truppe wieder ein: Renate und Fritz. Für den bereits um 5.40 Uhr gestarteten Hermann brauchte ich noch über eine weitere Stunde. Auch die als Erste gestarteten Svea und Emil holte ich schließlich ein. Jeweils nach einer kurzen gemeinsamen Strecke hab ich dann wieder meinen eigenen Törn gepaddelt und die anderen hinter mir gelassen – schließlich hatte ich ja noch einiges vor. Je nach Zeit (und Zustand des Paddlers) sollte Heike mich in Holzminden oder gar erst in Hameln wieder abholen.
In Beverungen (km 52) war es gegen 10.45 Uhr Zeit für eine erste Pause. Eine richtige Toilette – so viel Luxus hab ich mir gegönnt. Viel Pause hab ich mir allerdings nicht gegönnt – nach einem kleinen Happen und 15 min. war ich wieder unterwegs.
Das Interessante an Gemeinschaftsfahrten wie dem Wesermarathon sind unter anderem die Leute, die man unterwegs trifft. Von jung bis alt, von dünn bis dick ist so ziemlich alles vertreten. Man grüßt sich freundlich, manchmal schwatzt man ein wenig oder fährt ein Stück gemeinsam und verliert sich genauso langsam aus den Augen, wie man sich begegnet ist – heute ist kein hektischer Arbeitstag, heute wird der Alltag „entschleunigt“. Nur langsam aber doch sicher werden die Zahlen auf den km-Schildern immer größer.
Eine ganze Zeit bin ich mit zwei jungen Männern und einem Stand-Up-Paddler gefahren. Mann, hat der reingehauen! Mein Boot und ich gehören heute sicher nicht zu den langsamsten, im Laufe des Tages habe ich weit mehr als 100 Boote überholt und bin nur ganz selten überholt worden, aber ihn musste ich nach einigen km ziehen lassen. Er wollte in Holzminden aus- bzw. absteigen und ich wollte dann ja noch eine ausgedehnte Tagestour dranhängen…
Nachdem er eine kurze Pause gemacht hat, hatte ich ihn wieder und die letzten 5 km bis Holzminden war er nicht mehr ganz so schnell, die konnten wir gemeinsam fahren. Mit meinem Vorurteil, SUP wäre langsam, hat er jedenfalls gründlich aufgeräumt!
Auf die Frage, ob ich in Holzminden (km 80) ebenfalls anhalten und Pause machen würde hab ich allerdings gesagt, „nein, ich fahre weiter – wenn ich jetzt aussteige, kann es sein, dass ich nicht mehr einsteige“. Eine kurze Pause wollte ich erst 5 bis 10 km später machen.
Also vorbei an den zahlreichen bereits Angekommenen oder gerade Ankommenden und weiter – ab hier war das Feld allerdings spürbar ausgedünnt. Mir ging es gut, das Wetter war super: nicht zu warm aber trocken und kein Gegenwind (wie im letzten Jahr). Die nächsten 10 km waren nicht schwer, aber dann hatte ich immer mehr das Gefühl, ich komme gar nicht voran und es dauert ewig. Langsam aber sicher ging mein Schnitt runter von anfangs deutlich über 12 km/h auf unter 12 km/h. Die letzten 5 km sollten ja bekanntlich die schlimmsten sein, weil dort keine Strömung mehr ist. Das Gefühl hatte ich schon 10 km vorher! Jetzt merkte ich auch deutlich meine Schulter-Muskeln! Aber was sollte ich machen, umkehren ging ja schlecht und außerdem wurde ich ja in Hameln erwartet, also einfach weiterpaddeln.
Die letzten 5 km gingen dann erstaunlich gut. Ohne Strömung war ich zwar spürbar langsamer unterwegs, aber sie kamen mir gar nicht mehr so lang vor – immerhin hatte ich ja auch schon 130 km geschafft!
In Hameln am Kanu-Club stand eine Gruppe Holländer am Ufer, die jeden Ankömmling mit einem tosenden Applaus und großem Gejohle in Empfang nahmen. Ihre Begeisterung steckte sogar die eher kühlen Norddeutschen an – auch dort wurden hin und wieder die Hände zu einem klatschenden Geräusch zusammengeschlagen. Mir tat es gut, ich hatte das Gefühl, mir diese Anerkennung auch irgendwie verdient zu haben. Nach genau 12 Stunden (inkl. der Pausen) war ich am Ziel, die reine Paddelzeit war 11 Stunden und 34 min. Und vor lauter Paddeln habe ich ganz vergessen, Fotos zu machen.
Meine Wesermarathon-Bilanz bisher:
2011: Bronze-Strecke im Zweier mit Nicola
2014: Silber-Strecke im Zweier mit Dominik
2015: Gold-Strecke im Einer mit dem inneren Schweinehund
Würde ich es wieder tun? Das entscheide ich kurz vor Holzminden!