...freundlich bis an den Horizont - Auf der Persante nach Kolberg

Auf der ParsetaDie Einladung zur Teilnahme war auch an viele Kanuvereine in Deutschland ergangen: VIII. Internationale Paddeltour „Parseta 2009“, Ziele der Fahrt:
Aktive Erholung am Wasser, Popularisieren dieser Freizeitaktivität, Integration zwischen Kanuten, Aktion „Saubere Parseta“ und Werbung für die Region.
Hört sich interessant an, war meine erste Reaktion, die an den Vorstand ergangene Einladung auf unsere Seite zu setzen, die zweite. Des Weiteren beeinflussten meine guten Erfahrungen mit der Flussfahrt auf der Rega von 2004 meine Entscheidung für eine Anmeldung.
Leider ergingen keine weiteren Anmeldungen aus unserem Verein. So fuhr ich nun allein nach Beendigung unserer Elbefahrt Torgau – Dessau direkt von dort über Berlin – Stettin – Naugard nach Körlin (Karlino).
Die Ausschreibung war zwar eine Kooperation mit dem PTTK (Polischer Kajakverband) und gilt somit als anerkannte Internationale Fahrt für das Wanderabzeichen, erging jedoch vom Städte- und Gemeindenverband des Flussgebietes der Persante.
Folgerichtig suchte ich nach Ankunft in Karlino das Rathaus auf. Das Englisch der jungen Angestellten im Verbandsbüro war dürftig, aber immerhin zeigte sie mir, dass ich auf der Teilnehmerliste stand, drückte mir eine Wegbeschreibung in die Hand und so landete ich am Nachmittag des 23. Juli auf einer eingezäunten Zeltwiese am Stadtrand von Karlino, direkt am Ufer der Radew, eines kleinen Nebenflusses der Persante, in der Größe vergleichbar mit unserer Örtze.
Auf der ParsetaEinige Zelte stehen schon auf der Wiese zwischen Kanu- und Geräteschuppen des Verbandes und dem Toiletten- und Umkleidehäuschen der Freibadeanlage am Fluss, in geschäftiger Weise sind andere Leute gerade am Aufbau. Ich geselle mich zu ihnen und halte mit meinem Zelt den gehörigen deutschen Abstand zu den Nachbarn. Nützt mir aber nichts: Als ich nach einem Erholungsnickerchen nach der langen Autofahrt aus meiner Hütte krieche, ist der Abstand zwischen mir und dem Nachbarn zur Linken zugebaut, vor mir quetschen gerade die Mitglieder eines Familienclans ihre Siedlung neben ein großes Aufenthalts-Zeltdach und rund umher baut sich langsam alles zu. Das alles in freundlicher Ungezwungenheit und Selbstverständlichkeit. Irgendwann reicht der Platz nicht mehr und nun wird auch die Wiese außerhalb der Umzäunung besetzt.
Erste Gespräche werden versucht, die aber regelmäßig versanden, wenn die polnischen Kanuten meinen einzigen Satz hören, den ich auf Polnisch kann:
„Ich verstehe kein Polnisch.“ Auch mit Englisch geht’s nicht, denn die meisten können nicht oder trauen sich nicht. Irgendwann schleppt jemand seine Schwester Karolina an, die Deutsch spricht – und zwar sehr gut. Da sie zu der großen Familiengruppe gleich neben meinem Zelt gehört, ergibt sich schnell meine Integration im Umkreis von ungefähr 10 Metern Radius auf dem Platz.
Wenig später bei der offiziellen Registrierung lerne ich eine zweite Karolina kennen, die perfekt Deutsch spricht und Angestellte des für die Organisation verantwortlichen Verbandes ist. So weiß ich für meine zukünftigen Polenfahrten, dass ich nach Frauen mit dem Vornamen Karolina fragen muss, wenn ich jemanden suche, die Deutsch spricht. Rat an alle Leser: Versucht’s auch mal!
Auf der ParsetaSie erklärt mir den Ablauf der Veranstaltung und meine Bitte, sie möge mir bei der Fahrtenleitung einen Bootspartner für den Zweierkajak zuteilen lassen, der Englisch oder Deutsch oder Skandinavisch spricht wird in der Weise erfüllt, dass der Kanufahrtkapitän – so heißt der Fahrtenleiter auf Polnisch – mir kurzerhand … na klar: Karolina zuteilt. So ist der Rest der Dreitagefahrt gebongt, denn Teil Zwei der Information war: Von 106 anwesenden Teilnehmern sind 105 Polen.
Jeder Teilnehmer bekommt bei der Registrierung eine Baumwoll-Tragetasche mit dem Logo der Veranstalter. Inhalt: Infomaterial, ein wasserdichtes Klarsicht-Etui für das Handy, der offizielle Fahrtennachweis für das Fahrtenbuch / 74 km und natürlich – selbstverständlich für jede Polenfahrt – ein T-Shirt mit Aufdruck des Fahrtenlogos und in neongrüner Farbe für alle und für mich in XXL. Mit der Maßgabe, es beim Einlaufen in Kolobrzeg am dritten Tag sauber und gebügelt zu tragen und zwar unter der Rettungsweste. Es ist spaßig gesagt, aber es wird ziemlich viel reglementiert, ein Relikt aus der Vergangenheit? Ich kann – wie auch alle Polen – damit umgehen und trage es beim Einlaufen in Kolberg am dritten Tag – ungebügelt!
Heute am Ankunftstag gibt es kein gemeinsames Essen, aber in den Folgetagen wird nach Ankunft im Lager nach der Paddelfahrt – also drei Mal – eine Mahlzeit, warm und in Styropor-Behältnissen angeliefert und immer schmackhaft und ausreichend in deftiger polnischer Zubereitung.
Könnte man das auch anders organisieren? Ohne diesen vielen Müll?
Auf der ParsetaAn den Abenden wird bei geselligem Beisammensein, Spielen für die Kinder, Wettbewerben für die Großen, Diskomusik am Samstagabend, Ehrung der Tagessieger (s.u.) außerdem noch gegrillt: Zu den kräftigen Schinkenwürstchen, der regionsüblichen Blutwurst (übrigens sehr schmackhaft!) und dem in Därmen getarnten Kartoffelbrei vom Grill gibt es außer Senf und Ketchup Salzgurken, Krautsalat, Brot und bunt-süße Brause, am letzten Abend für alle ein Bier. Wenn ich dann noch an die Preise und Pokale denke und die Begrüßungstragetasche, dreimaligen Bustransfers zu oder von den Tagesetappen und die zur Verfügung gestellten Zweier-Paddelboote, frage ich, wie die Veranstalter das für 180 Zloty / ca. 45 € finanzieren.
Die Antwort von halboffiziellen, gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen sagt: In Polen wird Paddeln nicht verboten sondern gefördert. Man will Touristen werben und nicht vergraulen (Flusssperrungen in Deutschland). Es gibt Sponsoren. Es gibt EU-Fördermittel für die Region, die bei kommunalen Verbänden zur Verfügung stehen, um über Firmenansiedlungen, ökologische Projekte und Tourismusförderung Beschäftigung zu bewirken und die regionale Infrastruktur verbessern sollen.
Zum Paddeln: Am Freitag werden wir mit Bussen zur ersten Einsatzstelle gefahren. Die Boote sind offene Zweier-Paddelboote, alle neu, schwer, ohne Spritzdecke, mit hoher Anfangs- und Endstabilität, bestens für Anfänger geeignet, aber auch nicht unter der Würde von versierten Kajaken, weil sie für diesen Fluss einfach brauchbar sind. Sein eigenes Boot auf dem Autodach über zwei Mal 600 km von Hannover anzuschleppen, wäre die Alternative, die nach Gesprächen mit dem Veranstalter bei der nächsten Ausschreibung berücksichtigt werden wird. Die Radew fließt sportlich schnell durch abwechslungsreiche Landschaft, Wälder und Wiesen lösen sich ab. Es gibt je nach Wasserstand Hindernisse im Wasser: Baumstämme sind zu über- oder zu unterfahren. Jeder normal sportliche Mensch bewältigt die Hindernisse, die Boote sind gutmütig. Wichtig ist, unübersichtliche Kurven langsam anzufahren, weil tief hängende Zweige und Weidenvorhänge, selbst Hindernis, andere Hindernisse nicht immer schnell erkennen lassen.
Meine im Paddeln unerfahrene Partnerin freut sich über einen erfahrenen Steuermann, der bestimmt, was wie wann gemacht wird. Während der Fahrt sammeln wir jede Menge Müll ein. Jeder Teilnehmer bekam einen großen Plastiksack, der bei Beendigung der Fahrt möglichst voll sein sollte.
Ein guter Gast im Lande bremst das Boot für jede Plastikflasche, Styroporbrocken, Folienreste und Weißblechdosen, so dass sein Boot am Abend einen Anerkennungspreis erhält. Viel Müll finden wir aber auf der Radew nicht, so dass Unterhaltung, Gedankenaustausch, Genießen der Ruhe und Betrachten der Landschaft nicht zu kurz kommen. Die erste Etappe Bialogórzyno-Karlino beenden wir nach 28 km am Anlegesteg vor unseren Zelten. Den Preis als Tagessieger / Erster am Zielort erhält ein Mitglied aus der großen Familie in meiner Zeltnachbarschaft. Der Sieger hat aber keinen Müll eingesammelt, was aber nicht zu Punktabzügen führt – es wird nicht alles reglementiert.
Am zweiten Tag paddeln wir die Radew abwärts in die Persante hinein. Am Stadtrand von Karlino müssen wir wegen eines Wehres steil über eine Böschung, weit über eine Brücke, schwer an den schweren Booten schleppend, umtragen. Meine Partnerin ist nicht kräftig genug dafür. Andere Teilnehmer müssen gefragt werden zu helfen, wie insgesamt Drängeln und Vordrängeln bei Umtragestellen selbstverständlicher sind als gegenseitige Hilfe. Das Fahrtenmotto „Eine Landschaft freundlich bis an den Horizont“ ist in diesem Punkte nicht immer deutlich sichtbar. Manchmal habe ich jedoch den Eindruck, dass es daran liegt, dass die Teilnehmer überwiegend ungeübtere Touristen als erfahrene Kajakfahrer sind und deshalb froh sind, wenn sie an schwierigen Stellen irgendwie schnell für sich selbst sorgen und an Land kommen können. Jedenfalls ist Gelassenheit angesagt und die gucke ich mir von Karolina ab. Es gibt einige Schwälle, natürliche und an aufgelassenen Wiesenwehren, an allen kann man das Boot einfach durchrutschen lassen.
Es regnet zwischendurch ordentlich, aber es bleibt ein warmer Regen. Wir sitzen zum Schluss im Wasser, die Sonne wärmt es dann wieder an und auch die häufigen Wenden auf dem Fluss, wenn wir wieder einmal an einer Müllsammelstelle in Form eines Holzverhaues, mal am Prallhang, mal am Gleithang vorbei gerauscht waren, taten ein übriges um uns aufzuwärmen.
Im grünen T-Shirt zum ZieleinlaufBei der Ankunft bei Pustary hatte unser Boot zwei große, prall gefüllte Müllsäcke zu bieten, die auf ein kommunales Fahrzeug geworfen wurden. Dafür gab es im Zeltlager den ersten Preis für die „deutsche Delegation Sieghard“ nebst Partnerin: Eine richtig gute aufblasbare Luftmatratze mit samtener Veloursoberfläche, auch als Gästebett geeignet, Qualität „Luxus“ für mich und eine recht einfache Isomatte für Karolina. Tauschen wollte sie nicht, so gab ich meinen Preis weiter an … natürlich: an meine befreundete Nachbarfamilie von Karolina I, die sich für die Kinder freute!
Damit war ich nun allen Teilnehmer bekannt und nach dem Grillen bei Quiz, Wettbewerben, Singen und Disko gab es jede Menge Leute, die nun doch Englisch oder Deutsch, in allen Abstufungen und abhängig vom Alkoholkonsum sprachen. Ich nicht ausgeschlossen.
Der dritte und letzte Tag beginnt verhalten und bei einigen mit Kopfschmerzen. Die Kommunikation im Bus auf dem Wege zum Etappenstart liegt ungefähr bei Null.
Wem gehört nun welches Boot in der Fünfziger-Reihe? Wir bekommen nicht das, welches ich am Vortage trocken und sauber gewischt hatte, aber ein baugleiches. Fährt auch typengleich! Fschistko jedno – oder wie das heißt. (Sch…. Egal, oder so.) Bei Schmuddelwetter geht es weiter, die Regenjacke, die ich überziehe, ist nass vom Vortag. Irgendwann wird Pause gemacht. Alle sammeln sich an einer flachen Uferstelle. Die Fahrt-T-Shirts werden übergestreift und wir laufen auf Kolberg zu. Der mächtige Dom, verbreitert noch durch eine Einrüstung für Restaurierungsarbeiten, ragt vor uns auf, davor das Panorama der handelsüblichen Plattenbauten, die die Vororte der deutschen Zeit nach der gemeinsamen Zerstörung Kolbergs durch Wehrmacht und Rote Armee 1945 abgelöst haben. Noch ein schöner Schwall an einer Brücke, dann sammeln wir uns zwischen zweiter Brücke und erster Fontäne an beiden Ufern der Persante, um die Zweier-Mannschaften, die sich für das Rennen um den Pokal der Fahrt gemeldet hatten, anzufeuern.
Es siegt – wieder ein Männerteam aus Karolinas großer Familie, die waren wirklich allround gut!
Durch Schilfdickicht geht es zum Schluss auf einem kleinen Nebenarm der Persante zur Aussetzstelle in der Nähe der Sporthallen, wo unsere Busse und die Fahrzeuge mit den Bootsanhängern schon warten. Bei stockenden Verkehr durch den auf jeden Fall sonntags viel besuchten Badeort Kolberg und dann durch die abwechslungsreiche pommersche – für mich „heimatliche“ – Kulturlandschaft geht es zurück nach Karlino, wo das warme Mittagessen schon auf uns wartet.
Sieghard mit KarolinaNach dem Verzehr bauen 105 Leute in Windeseile das Zeltlager ab und viele verabschieden sich freundlich bei mir: „Bis zum nächsten Jahr!“
Ich lasse mein Zelt noch für eine Nacht stehen, weil ich - müde und übernächtigt - mich nicht ans Steuer setzen will für eine Fahrt in die Nacht hinein.
Nachdem auch die städtischen Angestellten mit dem Aufräumen des Bootshauses fertig sind und der Sicherheitsdienst, der unsere Veranstaltung rund um die Uhr bewacht hatte, abgezogen wird, sitze ich allein vor meinem Zelt, genieße die Ruhe des zu Ende gehenden Tages und des Flusses direkt vor mir und verarbeite gedanklich die schönen Erfahrungen der letzten vier Tage. „Bis zum nächsten Jahr?“ Oder zum übernächsten? Wer will mit?
In der Nacht holt mich eine Katze einmal aus dem Schlafsack. Sie sucht im Müll von vier Tagen und 106 Leuten nach Fressbarem.
Am Morgen, während ich abbaue, wühlt eine verhärmte ältere Frau den Müll noch einmal durch: Außer den für sie wertvollen Bierdosen aus Weißblech findet sie auch ihren Nahrungsbedarf für den heutigen Tag. Bei ihr ist der EU-Wohlstand nicht angekommen. Für mich war auch interessant, was andere so alles wegwerfen, bei denen der „Wohlstand“ angekommen ist!
Fazit: Eine außerordentlich gut organisierte Fahrt. Ein sportliches Erlebnis etwas anderer Art. Ein schöner Fluss in schöner Landschaft. Sehr angenehme und aufgeschlossene Menschen. Rund um die Uhr sicheres Gefühl rund um Zelt und Auto – wer gern bei seinen Vorurteilen bleiben will, bleibe zu Hause.
Wer gern in einem der nächsten Jahre einmal mitfahren möchte – oder auch allein –melde sich bei mir. Karten und Informationsmaterial über Land und Leute und einige Fotobände stehen zur Verfügung.

Sieghard Göring

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